Lyft springt über den großen Teich

Guter Zeitpunkt – oder ist der Zug … äh das Taxi längst abgefahren?

Lyft springt über den großen Teich

„Lyft kauft FreeNow für 175 Millionen Euro“ – diese Schlagzeile ging gestern neben den OpenAI-Releases und dem Meta-Gerichtsverfahren etwas unter. Dennoch hat sie mich in ein kleines Rabbit Hole geführt, weil ich wissen wollte, wie es einst so vielversprechenden Hamburger Startup in den letzten Jahren ergangen ist. Seit dem kontroversen Rebranding von Mytaxi zu FreeNow im Jahr 2019 (an dem ich mit meiner alten Agentur sogar mitgearbeitet habe), habe ich das Unternehmen aus den Augen verloren. Und auch der Schritt von Lyft hat mich zunächst überrascht. In den USA gelten sie als klarer Verlierer gegenüber dem Platzhirsch Uber, haben den europäischen Markt dennoch stets gemieden, während Uber hier bereits seit 2011 aktiv ist. Grund genug für einen kurzen Deep Dive. Schauen wir uns zunächst die Umsatzentwicklung der letzten zehn Jahre an:

Umsatz 2014 – 2024 (in Mrd. $)

Jahr Uber Lyft FreeNow (in €)
2014 1,5-2,0* 0,13 n/a
2019 14,1 3,6 2,0
2024 37,3 5,8 >2,0

*Schätzung basierend auf internen Daten

Bis 2019 sind alle drei stetig gewachsen, wobei Uber durch seine rapide internationale Expansion immer die Nase vorn hatte. Lyft konzentrierte sich hingegen ausschließlich auf Nordamerika und konnte sich dort immerhin einen Marktanteil von 34% sichern. Auch Mytaxi startete in dieser Zeit seinen Taxi- und Ridehailing-Service in mehr als 100 europäischen Städten, bevor es unter einem Joint Venture zwischen Daimler und BMW in FreeNow umbenannt und mit den Carsharing-Diensten Drive Now, Reach Now und car2go sowie weiteren Mobilitätsservices wie Park Now und Charge Now zusammengelegt wurde. Damals waren die Träume noch groß:

„Als Shareholder sind wir fest davon überzeugt, dass wir mit der Bündelung in drei Säulen die Joint Ventures schlagkräftiger und fokussierter in einem wettbewerbsintensiven und schnell wachsenden Umfeld aufstellen. Beide Shareholder stehen hinter dem Geschäftsmodell von Your Now und sind fest entschlossen, die Joint Ventures zu einem führenden Player im Mobilitätsmarkt weiterzuentwickeln

– Rainer Feurer, Bereichsleiter Beteiligungen der BMW Group

"Die Weichen sind gestellt, um die Your Now Joint Ventures nachhaltig profitabel aufzustellen. Gleichzeitig werden Partnerschaften immer wichtiger, um am Markt erfolgreich zu sein. Hier sind wir offen, um das Wachstum weiter zu forcieren."

– Franz Reiner, CEO der Daimler Mobility AG

Beide Zitate stammen aus dem Dezember 2019. Jap. Den Rest könnt ihr euch denken. Nur wenige Monate später zerplatzten diese Pläne durch den globalen Ausbruch des Coronavirus. Die gebuchten Fahrten brachen ein und die ohnehin schon hohen Verluste schossen durch die Decke. Im Gegensatz zu Uber, das besonders während der Lockdowns vom Wachstum seines Food Delivery-Geschäfts profitierte, verfolgten seine Konkurrenten einen rigorosen Sparkurs. Lyft schaffte es dadurch, seinen zweiten Platz in den USA und Kanada zu halten und konnte 2024 erstmals einen Gewinn ausweisen. FreeNow kehrte ebenfalls zu seinen Ursprüngen zurück und erzielt heute wieder etwa 90% seines Umsatzes mit klassischen Taxifahrten. Obwohl die Marge wegen strenger Regulierungen deutlich niedriger ist (3-5% bei Taxis vs. 15-20% beim Ridehailing), führte dies dank der Kosteneinsparungen im vergangenen Jahr erstmals zum Breakeven.

Nun stellt sich natürlich die Frage: Haben BMW und Daimler nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, um diesen Teil ihrer Mobility-Sparte endlich loszuwerden? Vermutlich ja. Abgesehen von den jahrelangen operativen Verlusten hat sich die Strategie der Autobauer zwischenzeitlich stark verändert. E-Autos, Batterien und Software-Plattformen stehen jetzt im Fokus. Services mit niedrigen Wachstumsraten und Gewinnmargen sind dagegen nur ein lästiger Klotz am Bein. Die 175 Millionen Euro sieht man daher wahrscheinlich als akzeptablen Ausstieg, auch wenn die internen Bewertungen einst definitiv höher lagen. Für Lyft ist es ein verhältnismäßig günstiger Einstieg in den europäischen Markt, mit einer etablierten Marke und guten Beziehungen zur lokalen Taxibranche und staatlichen Regulatoren.

Vor allem Letztere könnten insgeheim Lyfts Kalkül hinter der Übernahme erklären. Denn im Jahr 2021 stellte die EU das sogenannte „Gig Worker“-Gesetz vor, das Uber und andere Ridehailing-Dienste dazu verpflichten würde, ihre Fahrer anzustellen und für sie Steuern und Sozialabgaben zu zahlen. Laut Uber könnte dies dazu führen, dass sie weniger Fahrer auf ihrer Plattform zulassen können, was die Fahrtpreise um 40% erhöhen würde. Doch das ist nicht die einzige rechtliche Auseinandersetzung, der sich Uber & Co. in Europa stellen müssen. In meiner Heimatstadt München wollen SPD und Grüne durchsetzen, dass die Taxi-Festpreise auch für Ridehailing-Fahrten gelten, um endlich wieder fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Angeblich hat sich FreeNow aus genau diesem Grund weitestgehend aus dem Ridehailing-Geschäft zurückgezogen.

Durch den FreeNow-Kauf befindet sich Lyft in einer komischen Position. In den USA lobbyieren sie an der Seite von Uber und DoorDash aktiv gegen solche Gesetze und gleichzeitig sehen sie in Europa vielleicht darin eine Chance, ihrer Konkurrenz eins auszuwischen und in diesem Markt nach Jahrzehnten doch noch Fuß zu fassen. Zur Not auch mit altmodischen Taxifahrten.